- Startseite
- Über Uns
- Themen
- Aktuell
- Service
- Kontakt
Wolfgang Wessels, Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler, ist seit etwa 50 Jahren im sozialen Bereich tätig. Unter anderem war er Geschäftsführer des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung NRW. Seit zehn Jahren engagiert sich der 68-Jährige als stellvertretender Vorsitzender im Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Düsseldorf. In diesem Jahr beendet er seine Tätigkeit im Beirat.
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihm über erfolgreiche Jahre, aktuelle Herausforderungen und mögliche Konzepte für die Zukunft.
Herr Wessels, wie sind Sie dazu gekommen, sich im Behindertenbeirat Düsseldorf zu engagieren?
Das waren persönliche Begegnungen und Belange. Frau Kroker-Christmann, die damalige – inzwischen verstorbene – Vorsitzende, suchte aufgrund der damaligen Satzung einen stellvertretenden Vorsitzenden, der den Mut hatte, das Amt zu übernehmen. Und das habe ich dann auch getan.
Was ist Ihre Motivation, sich schon so lange im Behindertenbeirat zu engagieren?
Ich stehe schon lange zu dem Thema der politischen Vertretung behinderter Menschen. Ich achte in Düsseldorf sehr darauf, dass es zu einem gemeinschaftlichen Auftreten der behinderten Menschen kommt und dass sie eine Stimme finden.
Welche Themen bearbeiten Sie schwerpunktmäßig im Beirat?
Jetzt zum Schluss meiner Amtszeit ist der Beirat auseinandergebrochen. Es ist nicht mehr gelungen, den Beirat und seine Rolle zusammenzuhalten. In der Vergangenheit haben wir uns vor jeder Sitzung getroffen und unsere Anträge abgesprochen. Die behinderten Menschen haben tatsächlich Anträge gestellt zu vielen Fragen von Barrierefreiheit, zu schulischer Inklusion und vielen weiteren Themen. Das ist abgebrochen durch bestimmte Personen, die ihre verbandlichen Interessen nach vorne geschoben haben. Derzeit gibt es nur noch ein Thema: die neue Satzung. Es gibt im Moment kein aktives, also von den behinderten Menschen ausgehendes Agieren gegen die vielfältigen Schwierigkeiten, die es für behinderte Menschen gibt.
Haben die Anliegen des Beirates in Düsseldorf in den letzten Jahren denn Gehör gefunden?
Wir haben acht Jahre eine gute Politik gemacht. Wir haben die Verwaltung mit eigenen Anträgen bombardiert. Beispielsweise haben behinderte Menschen Anfragen gestellt, warum die Inklusion in der Schule xy hakelt. Mir ist aufgefallen, dass dies ungewöhnlich ist. Ich bin nämlich noch Mitglied im Inklusionsbeirat der Stadt Bochum, weil ich ja in Bochum arbeite. Und da habe ich zum ersten Mal einen Antrag gestellt. Die ganze Verwaltung war völlig irritiert, dass von einem Mitglied eines Beirates überhaupt ein Antrag gestellt wurde.
Sie entscheiden ja nicht als Beirat, sondern geben mehr Anregungen. Wurde denn schon vieles umgesetzt?
Es ist gut gelaufen. In Düsseldorf hat der Beirat sogenannte Runde Tische, das sind Untergruppen. Nur als ein Beispiel. Wir sind sehr aktiv. Das ist gut.
Ein weiteres Beispiel: Die U-Bahn-Haltestelle Nordstraße in Düsseldorf hatte keinen Aufzug. Es sollte ein Aufzug gebaut werden, aber sehr verwinkelt, über mehrere verschiedene Systeme, also verschiedene Aufzüge nebeneinander. Die behinderten Menschen wollten das nicht. Sie wollten einen durchgehenden Aufzug haben. Das hätte bedeutet, das damals Parkplätze weggefallen wären. Das ist natürlich in Düsseldorf ein hohes Gut – und dann noch vor einem Drogeriemarkt. Und der Beirat hat durch seine Verweigerung seiner Genehmigung dieser Lösung von verschiedenen Aufzügen durchsetzen können, dass ein durchgehender Aufzug gebaut wurde. Unter Verlust von Parkplätzen.
Ich denke, man hat viel erreicht, in den Zeiten, wo man wirklich aktiv war, mit entsprechender Fortune. Zum Beispiel im schulischen Bereich oder beim Thema Barrierefreiheit. Wir haben auch viel zum Thema Schwerhörigkeit gearbeitet, was ein seltenes Thema ist. Kulturelle Teilhabe war immer wieder ein Thema.
Gab es auch einen großen Misserfolg? Oder gab es mal ein Projekt, wo Sie völlig gescheitert sind?
Deswegen höre ich jetzt auf. Es sind zwei Dinge, die jetzt aktuell gescheitert sind.
Erstens: Wir haben eine Satzung mit einer starken Dominanz der Verbände. Die Satzung ist so angelegt, dass bestimmte Verbände die Besetzung unter sich auskungeln. Da gibt es Defizite. Wir haben die Satzung nicht einhellig, einstimmig verabschieden können. Wir haben Vertreter*innen behinderter Menschen gehabt, die durch ihre Hartnäckigkeit die kommunikativen Einschränkungen behinderter Menschen so überspielen konnten, dass andere behinderte Menschen politisch ausgeschaltet wurden. Da war große Politik auf der Behindertenebene da. Das hat nicht funktioniert, weil kognitiv eingeschränkte Menschen überhaupt nicht begriffen haben, worum es dort ging. Wir haben es im Beirat immer mit deutlichen kommunikativen Einschränkungen zu tun. Und diese Gruppe hat genau diese Einschränkung genutzt, um sich politisch durchzusetzen.
Zweitens: Nach dem Tod von Frau Kroker-Christmann hat es den Versuch gegeben, die Arbeitsgemeinschaft – so gesehen den Zusammenschluss behinderter Menschen – neu zu definieren. Und das hat die Stadt Düsseldorf abgelehnt.
Die kommunikativen Einschränkungen haben Sie gerade schon angesprochen: Wie zugänglich, wie barrierefrei ist die Arbeit grundsätzlich in Ihrem Beirat?
Kognitiv eingeschränkte Menschen haben während der Sitzungen eine Assistenz. Wir haben natürlich in jeder Sitzung, auch in den Vorbereitungssitzungen immer Gebärdensprachdolmetscher*innen dabei. Das was wir tun können, machen wir. Und trotzdem bleiben große Probleme. Versuchen Sie mal in einer Gebärdensprache die Nuancen in einer politischen Strategie zu erklären. Da kommt man an seine Grenzen.
Und wie ist das mit der räumlichen Barrierefreiheit, zum Beispiel im Rathaus? Kann jeder, egal welche Einschränkung er hat, auch zu Ihnen kommen? Oder gibt es da noch Barrieren?
Wir tagen immer in einem Saal, der über eine Induktionsschleife verfügt. Es gibt auch einen Aufzug und Stufenmarkierungen. Es ist schon recht optimal, wo wir uns treffen. Schwierig ist immer die Situation, dass wir in Mikrofone sprechen müssen, damit die Induktion funktioniert. Das schafft wiederum eine sehr förmliche Situation. Unsere psychisch behinderten Menschen können diese Situation nur schwer aushalten.
Wir erinnern vor jeder Sitzung daran, dass laut und deutlich gesprochen wird. Alle nennen ihren Namen, damit beispielsweise sehbehinderte Menschen die Beteiligten verorten können. Da geben wir uns schon recht Mühe. Das ist sonst nicht so üblich.
Wie schätzen Sie die politische Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung grundsätzlich ein?
Politische Teilhabe ist ja ein Thema für sich. Und es ist ein Thema was in der Behindertenwelt gar nicht so eine große Rolle spielt. Leider. Die vielen nachwachsenden jungen Menschen mit Behinderung sind entpolitisiert. Und das macht die Arbeit schon sehr schwierig. Es fehlen sozialraumorientierte Ansätze. Es fehlt an Ansätzen, neue Menschen zu gewinnen, die sich vielleicht auch temporär für eine Sache einsetzen, zum Beispiel für die schulische Inklusion.
Was denken Sie, was könnte helfen, um neue Aktive zu gewinnen?
Genau das. Ich habe ein Konzept geschrieben mit dem Schwerpunkt Themenforen zu entwickeln. Vielleicht auch quartiersbezogene Themenforen, um dann in diesen Netzwerken über bestimmte behindertenspezifische Themen zu reden und dort zu Meinungsbildung zu kommen. Das ist in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Altenhilfe und besonders in der Jugendhilfe Gang und Gäbe. In der Behindertenhilfe ist diese eigentlich moderne Form der Steuerung und Arbeit weitgehend unbekannt.
Das ist ein Anliegen von mir. Dass neben den traditionellen Verbändestrukturen temporäre Netzwerke, auf jeden Fall sozialraumorientierte Netzwerke aufgebaut werden, in denen Steuerung von Behindertenhilfe stattfindet. Vielleicht dann auch quartiersbezogen, also kleinräumiger gearbeitet wird.
Es gibt noch einen zweiten Ansatz, den ich verfechte, mit dem ich aber auch ziemlich alleine bin. Ich glaube, dass die Beratung behinderter Menschen und Politik sehr eng beieinander gehören. Das heißt, im Grunde gehört das Thema der politischen Vertretung auch in die Beratungsstellen hinein. Oder die politische Vertretung muss mit den Beratungsstellen enger kooperieren.
Was würden Sie generell Menschen mit Behinderungen empfehlen, die sich gerne in der Kommunalpolitik engagieren möchten?
Alleine kann man nicht Politik machen. Ich muss mir überlegen, was ich will. Will ich mich engagieren, muss ich andere Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die mir gut zugewandt sind, gewinnen. Ich kann auch versuchen, in den politischen Gremien entsprechende Plätze zu bekommen.
Ich kann mich auch parteipolitisch engagieren. Wir haben in der Parteipolitik viele behinderte Menschen, was ich gut nachvollziehen kann. Die Parteien sind – das rechte Spektrum ausgenommen – auch offen gegenüber behinderten Menschen, so dass man sich dort engagieren kann. Oder sollte sogar, nicht kann. Man sollte es tun.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Beirats in Düsseldorf?
Es gibt einen Punkt, in dem ich mit der Stadt und einigen Vertreter*innen behinderter Menschen nicht übereingekommen bin. Politik, wenn sie erfolgreich werden soll, ist so kompliziert und so aufwendig, dass wir das allein im reinen Ehrenamt nicht schaffen. Das heißt, jedes politische Handeln braucht einen gewissen Background von Institutionalisierung. Das ist in der großen Politik die Partei. Das ist in der Behindertenpolitik der Zusammenschluss der behinderten Menschen.
Es müssen semi-professionelle Strukturen möglich sein. Eine völlig entprofessionalisierte Struktur behinderter Menschen steht einer hoch professionalisierten Struktur einer modernen Verwaltung einer so großen Stadt wie Düsseldorf gegenüber. Leider.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kontakt zum Beirat für Menschen mit Behinderung Düsseldorf:
Tel.: 0211-8991
E-Mail: behindertenkoordination@duesseldorf.de